Dienstag, 18. März 2008

Heissa Hoppsa!

Nicht lange liegt er zurück, Astrid Lindgrens 100. Todestag im November des vergangenen Jahres. Feuilletons und Magazine waren voll mit Artikeln über die Bedeutung von Lindgrens Gesamtwerk ("Schwedischer Imperialismus im Kinderzimmer"), oder mit gewagten Neuinterpretationen (Peter Svensson von der Zeitung Expressen schlug beispielsweise vor, die zwei Welten in "Gebrüder Löwenherz" als Sinnbild für Schweden und Norwegen im zweiten Weltkrieg zu lesen).

Doch es sind vielmehr Astrid Lindgrens Figuren selbst, in welchen sich dem Leser unendlich vielfältige Projektionsflächen für philosophische Kapriolen bieten. Eine besonders breite Fläche bietet dabei Karlsson vom Dach. Mit scheinbarer Jovialität steckt diese Wuchtbrumme schwere Schicksalsschläge ebenso weg wie die überall lauernden Gefahren menschlichen Versagens in einer zunehmend mechanisierten Welt - effektvoll in Szene gesetzt am Beispiel von Lillebrors explodierender Dampfmaschine. Die streitbare Maxime des Karlsson, mit welcher er uns die Geisteshaltung des stoischen Weisen ins Gedächtnis ruft, lautet dabei stets:
Das stört keinen großen Geist.
Es handelt sich dabei um einen weiteren Fall, in welchem die Übersetzung uns den großen Philosophen vom Dach um eine zentrale Facette beraubt. Denn so antwortet der denkende Dicke im schwedischen Original:
Det är en världslik sak.
(Das ist eine weltliche Sache)
Kein Wunder, dass da kein deutscher Denker Karlsson in seiner vollen Breite erfasst hat, verkommt die Mahnung zum "großen Geist" im Deutschen doch nur allzu oft zur arroganten Apologie dieses selten selbst Geschädigten. Aber auch kein Schwede des vergangenen Jahrhunderts scheint die Reisehöhe dieses propellergetriebenen Mystikers annähernd erreicht zu haben, und an geistigem Tiefgang scheint ihm nur ein Dag Hammerskjöld Vägmärken vorzugeben. Nur im Falle, dass die Welt ihn und seine Umwelt zu brechen droht, lässt Karlsson hinter seiner jovialen Fassade seine wahre, ihm Halt gebende Geisteshaltung durchschimmern.

Karlsson, mit klassischer Handhaltung des argumentierenden Eremiten (vgl. Bild unten)
Der kleine putto scheint sich nur äusserlich eine barocke Form zu geben, während sein reger Geist schon längst um die vanitas vanitatum weiß. Schon längst hat er sein metaphysisches Zuhause auf dem Dach gefunden, wo ihn nichts Irdisches mehr erreicht, außer vielleicht der Duft von Frau Svantessons Pfannekuchen. Seine Aufenthalte bei dieser Familie sind geprägt von einem oft urplötzlich hereinbrechenden Eskapismus hinauf - hinauf zum Dach, welches als Metapher steht für den geistigen Rückzug dieses sanguinischen Typen in sich selbst. Denn unerbitterlich schreit sein δαιμόνιον auf ihn ein, je lauter er mit polternden Scherzen am Weltlichen zu verhaften sucht, und mahnt ihn zur transzendentalen Anachorese, bis er eines Tages philosophierend mit Lillebror auf den Dächern des Vasaviertels sitzt, und täglich den beiden eine Wilddrude zwei Laiber Brot bringt ...

Ausschnitt Isenheimer Altar, Musée d'Unterlinden, Colmar

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