Donnerstag, 20. März 2008

Des Kaisers neue Gemahlin

Vielfältig sind die Spitznamen, die die Römer dem Denkmal für Vittorio Emanuele II. gegeben haben. Hochzeitstorte, Urinal, Gebiss, Schreibmaschine - fest steht dabei nur, dass man von ihm aus den besten Blick auf Rom hat - da man von dort den neoklassizistischen Bau selbst nicht sieht.

Doch wer sich ein wenig einlässt auf das Monument und sich von peniblen Wachen nicht schrecken lässt, der wird auf dieser Empore Orte finden, von denen aus es sich lohnt, die Eule der Minerva fliegen zu lassen. So fußt das Reiterstandbild des ersten Königs des geeinten Italiens fußt auf einem Sockel, in welchen die Reliefs der 14 Hauptstädte zu finden sind.
Schon jede einzelne der Personifikationen für sich ist die Einzelbetrachtung wert. Neben Städten wie Mantua (mit dem Relief Vergils auf dem Schild) oder Ferrara (gekrönt mit dem Castello Estense) findet sich jedoch dort auch die weibliche Personifikation von Ravenna, bei welcher wir ein wenig verweilen wollen:

Insignien sind einerseits der Kiefernzweig, welcher für die weite pineta Ravennas steht, und andererseits das byzantinische Herrscherdekor, bestehend aus prunkvollem Mantel und dem typischen Diadem.
Exponat aus dem Bode-Museum, Berlin
Diese Verweise auf Byzanz finden ihren Ursprung in der Tatsache, dass Ravenna im 6. Jhdt. Teil byzantinisches Exarchat auf italienischem Boden wurde und auch blieb bis zum Einfall der Langobarden im 8. Jhdt. Kunsthistorisch hat die Eroberung unter Iustinian deutliche Spuren in der Stadt hinterlassen:

Kaiser Iustinian samt Entourage. Mosaik San Vitale, Ravenna.

(Zoom Iustinian)
Nicht nur von Iustinian selbst, sondern auch von seiner werten Frau Gemahlin befinden sich Mosaike in San Vitale.
Theodora samt Entourage
In voller Pracht der Hoheitswürden steht sie unter eine smaragdgrünen Apsis. Ihr Gewand ist am unteren Rande versehen mit filigraner Kleinarbeit, die die heiligen drei Könige darstellen.

(Hlg. Drei Könige. Mosaik, Sant' Apollinare, Ravenna)

Und auch jenes prunkvolle Diadem fehlt natürlich nicht auf dem Haupte Theodorens:
(Zoom Theodora)

Ja, da entdecken wir sie wieder, jene bienenkorbartige Bekrönung, mit der man Kaisergattinen offensichtlich zu bedenken schien. Warum sich Theodora jedoch so herausgeputzt hat, wird nicht eindeutig auf dem Bild. Doch was spräche dagegen, dass die Person am linken Bildrand ihr den Vorhang öffnet hinein in das dunkle, kaiserliche Schlafgemach?

Aus jenem Schlafzimmer - quasi ex cubiculo - gäbe es wohl einiges zu erzählen, wenn wir dem Historiker Prokop glauben schenken wollen, der uns in den anekdota einiges über des Kaisers neue Gemahlin zu berichten weiß. In Prokops zentralem Werk über den Gotenkrieg kommt der Kaiser selbst schon nicht so blendend weg, wie man bei der glänzenden Mosaikdarstellung in San Vitale vermuten könnte. Vielmehr bleibt sein stolzer Feldherr Belisar bis kurz vor Schluß Sympathieträger des Authors. Aber die Polemik gegen das Kaiserpaar Iustinian und Theodora in den anekdota übertrifft diese eher subtile Kritik bei weitem.
ἀλλὰ καὶ πολλῶν τῶν ἐν τοῖς ἔμπροσθεν λόγοις εἰρημένων ἀποκρύψασθαι τὰς αἰτίας ἠναγκάσθην. τὰ τό τε δ’ οὖν τέως ἄρρητα μείναντα καὶ τῶν ἔμπροσθεν δεδηλωμένων ἐνταῦθά μοι τοῦ λόγου τὰς αἰτίας σημῆναι δεήσει.
(anek. I, 3)
Aber auch die Ursachen von vielem, was in meinen früheren Schriften steht, mußte ich gezwungenermaßen verschweigen. Daher werde ich nun die noch übrigen, nicht erzählten Dinge zusammen mit den Ursachen der Ereignisse, von denen ich zuvor berichtete, angeben müssen.
Zu Lebzeiten der Täter, schreibt Prokop kurz zuvor, wäre er mit einer derartigen Schilderung wohl Opfer der Späher geworden. Wohl zurecht: denn die Suche nach den Ursachen für die Misere im Reich führt ihn recht schnell zu Theodora:
ἔγημε δὲ γυναῖκα, ἣ ὅντινα τρόπον γενομένη τε καὶ τραφεῖσα καὶ τῷδε τῷ ἀνθρώπῳ ἐς γάμον ξυναφθεῖσα πρόρριζον Ῥωμαίοις τὴν πολιτείαν ἐξέτριψεν, ἐγὼ δηλώσω.
(anek. IX, 1)
[Iustinian] hatte aber eine Frau. Woher sie stammte und wie sie großgezogen wurde, und wie sie nach der Vermählung mit diesem Mann das römische Reich von der Wurzel an zu Grunde gerichtet hat, werde ich im Folgenden darlegen.
Woher sie stammte, schließt Prokop gleich danach an: Sie entstammte dem Zirkus und war Tochter eines Tierwärters, der früh verstarb. Die verwitwete Mutter ließ sie recht früh auf der Bühne auftreten, wo sie sich bald mit den Escort-Boys reicher Theaterbesucher vergnügte - παρὰ φύσιν wohlgemerkt. Die Karriereleiter führte sie über das Bordell zum Beruf der Hetäre - obwohl sie weder mit Flöte noch mit Laute umgehen konnte. Einen Ruf brachten ihr vielmehr ihre schamlosen Bühnenauftritte ein:
ἀποδυσαμένη τε τά τε πρόσω καὶ τὰ ὀπίσω τοῖς ἐντυγχάνουσι γυμνὰ ἐπιδεῖξαι, ἃ τοῖς ἀνδράσι θέμις ἄδηλά τε καὶ ἀφανῆ εἶναι.
(anek. IX, 14)
Vorder- und Hinterteil entblößte sie, und zeigte den Nächstbesten diejenigen Stellen nackt, die den Männern doch verborgen und unsichtbar sein sollten.
Prokop expliziert dieses Verhalten im Anschluss an eine ausführliche Darstellung ihres promiskuitiven Verhaltens:
Καί ποτε ἐς τῶν τινος ἐπιφανῶν οἰκίαν ἐλθοῦσα μεταξὺ τοῦ πότου θεωμένων αὐτὴν, ὥς φασι, τῶν ξυμποτῶν ἁπάντων, ἐς τὸ προὖχον ἀναβᾶσα τῆς κλίνης ἀμφὶ τὰ πρὸς ποδῶν ἀνασύρασά τε τὰ ἱμάτια οὐδενὶ κόσμῳ ἐνταῦθα οὐκ ἀπηξίωσε τὴν ἀκολασίαν ἐνδείκνυσθαι. ἡ δὲ κἀκ τριῶν τρυπημάτων ἐργαζομένη ἐνεκάλει τῇ φύσει, δυσφορουμένη ὅτι δὴ μὴ καὶ τοὺς τιτθοὺς αὐτῇ εὐρύτερον ἢ νῦν εἰσι τρυπῴη, ὅπως καὶ ἄλλην ἐνταῦθα μίξιν ἐπιτεχνᾶσθαι δυνατὴ εἴη.
(anek. IX, 17f)
Einmal ist sie, wie man sagt, in noblem Hause mitten beim Zechen und für alle sichtbar auf die Kante der Liege gestiegen und hat die Kleider, die um ihre Füße herum waren, hochgezogen ohne irgendeine Hemmung und hielt sich da nicht für unwürdig, ihre Zügellosigkeit zur Schau zu stellen. Während sie sich dreier Bohrlöcher bediente, klagte sie die Natur an, dass sie unfairerweise ihr nicht auch die Brüste ausladender modelliert habe, damit es ihr auch dort möglich sei, eine weitere Art von Verkehr zu bewerkstelligen.
Es folgen Berichte über die häufigen Abtreibungen der Theodora oder über die Lust, die sie empfand, wenn ihr Gänse Futter vom Körper pickten. Diese Frau war es, in die sich Iustinian maßlos verliebte und die er nach Tod der alten Kaiserin und Erlaß eines Sondergesetzes ehelichte - ansonsten wäre ihm die Heirat einer Hetäre versagt geblieben. So wird bei Prokop aus dem unzüchtigen Zirkusmädchen die kompetente Beifahrerin, mit welcher an seiner Seite es Iustinian gelang, nicht nur Byzanz, sondern gleich den gesamten Karren des römischen Reiches mit Karacho vor die Wand zu fahren.

Statue Imperia, Hafeneinfahrt Konstanz
Er hätte eine bessere haben können als diesen "Schandfleck der Welt", schreibt Prokop. Keine Kindsmörderin mit leicht blasser Hautfarbe. Sondern eine mit Ehrgefühl, Verstand und hervorragender Schönheit, eine "aufrechtbrüstige Jungfrau" [πάρθενος ὀρθότιτθος]. Aber halt auch eben ohne jenen "stets wilden und scharfen Blick" ...

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