Dienstag, 12. Februar 2008

Die Geburt des Romans aus dem Genetiv

Es gibt Bücher, die verdanken ihre Popularität wohl primär einem prägnanten Titel. "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ist ein schönes Beispiel hierfür - was mit James Joyce's Ulysses wohl zu den Büchern gehört, über welche man spricht, die man aber nicht liest. Was Voltaire übrigens auch über den großen Pindar gesagt hat.

Besonders wichtig, da Aushängeschild im Bücherladen, ist bei der Gattung der Historischen Romane der Titel. Wer sich ein wenig mit diesen auseinander setzt, wird sich mit etwas wissenschaftlicher Intuition nicht des Verdachts erwehren können, dass die Wahl der Titel der Bücher - von den Inhalten wollen wir schweigen - einem fixen Schema folgt. Und so wollen wir an dieser Stelle eine kurze Abhandlung liefern über das Auffinden des rechten Titels für einen Erfolg versprechenden Historischen Roman!

Schema
Auf einer abstrakten Ebene scheint sich für die Gestaltung eines wohlklingenden und vielversprechenden Titels folgendes Modell bewährt zu haben:
Nomen A + Nomen B im Genetiv
Was sich hinter diesem Schema verbirgt, versuche ich nun im Folgenden mit Inhalt zu füllen. Beginnen wir mit Nomen B:

I) Nomen B ist zwingend ein Substantiv aus der Menge
  1. der Berufsbezeichnungen,
  2. der Herrschaftsbezeichnungen, oder
  3. der religiösen Titel.
Dieses sollte nach Möglichkeit antiquiert, selten, und exotisch klingen für heutige Ohren.

1.) Hinsichtlich der Berufsbezeichnungen ist zu beachten, dass die Berufe in Verbindung stehen mit Produkten, die man in der Regel zu überteuerten Preisen in noblen Souvenirläden an Flughäfen oder im Manufactum-Katalog bekommt (z.B. unhandliche Würfel von Marsilia-Seife aus echtem Olivenöl, kratzig-rauhes Naturleinen, oder Büttenpapier mit echter Florentiner Lilie als Wasserzeichen aus dem versteckten und erst von uns im letzten Toskana-Urlaub entdeckten Papierladen in Florenz).

Als einige Beispiele seien in alphabetischer Reihenfolge genannt:
Glasbläser, Glasmaler, Tuchhändler, Salzsieder, Seifensieder, Wachsmaler, Zuckerbäcker.
Eine entsprechende Wahl des Nomen B ist zu empfehlen, da dieses Element des Titels in einer Zeit industriell gefertigter Massenware die Sehnsucht befriedigt nach authentischen, liebevoll gefertigten Produkten aus den Händen erfahrener Meister ihrer Kunst. Die Air vergangener Zeiten versprühen auch archaische Berufsbezeichnungen aus dem Sektor der Dienstleistungen wie:
Falkner, Henker, Wanderhure
2.) Hinsichtlich einer Herrschaftsbezeichnung ist ähnlich zu verfahren wie unter (1). Als Beispiele bieten sich an:
Herr, Kaiser, König, Markgraf
3.) Aus dem Bereich der religiösen Titel nenne ich nach gleichem Schema als Beispiele:
Augur, Druide, Papst, Runenmeister, Seher, Templer
Seine volle Wirkung entwickelt das Nomen B jedoch nur durch eine Technik, die ich als gender swap bezeichnen möchte. Dahinter versteckt sich die Feminisierung der zuvor unter (1.), (2.) und (3.) ausgeführten Bezeichnungen. Als Beispiele für diesen Prozess seien aus den jeweiligen Bereichen zu nennen:
  1. Glasbläser => Glasbläserin, Falkner => Falknerin
  2. Kaiser => Kaiserin, Markgraf => Markgräfin
  3. Druide => Druidin, Seher => Seherin, Papst => Päpstin
Der gender swap spielt mit der allgemeinen Vorstellung von Frauen und Beruf in vergangenen Jahrhunderten, indem er mit dieser Erwartungshaltung bricht und auf diese Weise einen innovativen Ansatz suggeriert. Soweit zu Nomen B.

II) Nomen A stellt in der Regel ein Substantiv dar aus der Menge der
  1. Produkte oder Werkzeuge der zuvor genannten Berufe, oder
  2. Verwandtschaftsgrade
1.) Produkte oder Werkzeuge aus dem Dunstkreis der in I) genannten Berufsgruppen sind zum Beispiel:
Amulett, Balsam, Bogen, Dolch, Kristall, Schleier
2.) Verwandtschaftsgrade sind zum Beispiel:
Enkel, Nichte, Onkel, Schwester, Sohn, Tochter
So ergeben sich nach zuvor erwähnten abstrakten Schema
Nomen A + Nomen B im Genetiv
z.B. folgende ungemein vielversprechenden Titel:
  • "Die Tochter der Glasbläserin"
  • "Der Schleier der Kaiserin"
  • "Der Bruder der Falknerin"
  • "Das uneheliche Kind des Lumpensammlers"
  • "Der Sohn des Kartenzeichners" (Cover-Vorschlag s.u.)
Hinsichtlich der inhaltlichen Bandbreite sind gewisse Variationen zulässig. Unerlässlich jedoch ist der Fall, d.h. das Nomen B im Genetiv, ohne welchen kein Historischer Roman Aussicht auf Erfolg hat. Es besteht unter gewissen Bedingungen lediglich die Möglichkeit, Nomen B allein als Titel zu verwenden. Hierbei empfiehlt sich doch das Voranstellen einer Ordinalzahl im Bereich von 1 bis 13. So sind z.B. auch Titel denkbar wie:
  • "Die elfte Königin"
  • "Der vierte Templer"

Ausblick

Um einen Impuls in dieses in sich begrenzte und inzestiöse System zu geben, plädiere für den reversed gender swap. Denn ich finde, auch Schicksale von Männern, die in typisch weibliche Berufsdomänen eindringen, verdienen der spannenden, historisch-literarischen Ausarbeitung. Und so hoffe ich auf baldiges Erscheinen von Titeln wie "Das Amulett des Hebammerichs", "Die Nichte des Harfisten" und "Die Braut des Wandercallboys".

Von einer Transponierung dieses Schemas in neuere Zeiten rate ich vorerst noch abzusehen, denn die Zeit scheint nicht reif für "Die Tochter der Diplomverwaltungsfachwirtin (FH)". Noch nicht.

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