Freitag, 18. Januar 2008

Gesichtsgeschichte

Als Scott Fahlman 1982 aus bitterer Erfahrung heraus sich dafür aussprach, die Zeichenfolge : - ) im elektronischen Schriftverkehr als "joke marker" einzuführen, konnte er noch nicht ahnen, was für ein Fundus von sog. "Emoticons" sich über Jahrzehnte aus dieser Idee entwickeln würde. Auf diesen greifen heutige Internet-User zurück, um ihre emotionale Haltung zum "trockenen" Text zum Ausdruck zu bringen.

Die Idee, Gemütshaltungen zu vertexten, ist nicht neu, wie dieser Ausschnitt aus einem Satiremagazin von 1881 zeigt:
Doch um das Phänomen der Emoticons historisch ein wenig zu beleuchten, reicht es nicht aus, lediglich im Zeitungskorb zu wühlen. Wir wollen hierzu einen alten Text nehmen. Einen wirklichen alten Text. Einen Text, der inhaltlich vor Emotionen geradezu sprüht. Nehmen wir die littera florentina!

Die littera florentina ist die einzige Handschrift der Digesten, d.h. des zentralen Teils des römischen Rechts, die "persönlich" aus der ausgehenden Antike stammt. Sie muss wohl in der zweiten Hälfte des 6. Jhdt. in der Nähe zu Byzanz entstanden sein, und irgendwie irgendwann¹ nach Süditalien gekommen sein. Der Legende nach haben sie die Pisaner dann 1155 bei der Eroberung von Amalfi mitgehen lassen nach Norditalien. Sie iniziierte dort, oder begleitete zumindest den Boom des römischen Rechts in Europa und die Entwicklung der Rechtsschule zu Bologna. Im Zuge der rasenden Verbreitung des römischen Rechtes verbreiteten sich mit den Abschriften ebenso schnell verschiedene Varianten des Rechtstext. Somit wuchs die Bedeutung der littera als ursprünglichste, nicht durch den Überlieferungsprozess verfälschte Handschrift mit den Jahrhunderten. Berühmt sind die Geschichten, wie bedeutende Rechtsgelehrte auf dem Zenit juristischer Streits nach Pisa pilgerten, um mit dem Finger über dem Pergament dem Kontrahenten die korrekte Lesart einer Digestenstelle unter die Nase zu reiben.
Seit Beginn des 15. Jhdt. lagerte der codex dann in Florenz, wo er in Ehrfurcht einflössendem Ambiente nur bei Kerzenschein gezeigt wurde, wie uns der Humanist Angelo Poliziano berichtet.

Bei allem Einfluss, den diese ehrwürdige Handschrift auf die Geschichte des Rechts hatte, bedarf es zugegebenermaßen ein wenig des comic relief, um nicht von Würde und gravitas der wohl kostbarsten Handschrift der Welt erschlagen zu werden. Und wer sich auf die Suche macht nach Spuren des Allzu-Menschlichen, dem wird an einigen Stellen die persönliche Note eines Schreibers des codex über die Jahrtausende hinweg vom Pergament entgegenlachen:


Dieser Schreiber lockert die dröge Monotonie des ewigen "Jurist XY im soundso-vielten Buch zum Edikt" auf, indem er an einigen Stellen² die Buchstaben "O" und "Q" überdimensioniert ausführt, und ihr Inneres mit menschlichen Gesichtszügen ziert. Dabei schöpft er aus einer Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen, die den Vergleich mit modernen Emoticons nicht scheuen braucht:










































Jedoch sind die Bücher noch zu schreiben, die an diesen Stellen die Regungen der "Icons" in Verbindung mit dem Inhalt des juristischen Text, oder gar der Psyche des Schreibers setzen...
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¹ Hierzu Kaiser, W., Zum Aufbewahrungsort des Codex Florentinus in Süditalien. In: Summe - Glosse - Kommentar : Juristisches und Rhetorisches in Kanonistik und Legistik. Frank Theisen (Hrsg.). Osnabrück 2000. S. 95 - 124.
² Zum als "Manus I" identifizierten Schreiber s. Kaiser, W., Schreiber und Korrektoren des Codex Florentinus. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Romanistische Abt. 118 (2001), S. 143 - 149. Eine Übersicht der verzierten Stellen findet sich auf S. 147 Fn. 47.

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