Freitag, 11. Januar 2008

Helden in Strumpfhosen

Die klugen Alten - das wissen wir dank Galen - haben Bücher geschrieben mit dem Titel περὶ φύσεως, oder zu Deutsch: Über die Natur. Und so verwundert es nicht, dass bei Wilhelm Busch der sehr gescheite Professor Klöhn ebenso über diese spricht, und dabei seine weisen Worte gleich in das Hexametergewand der Alten kleidet:
O verehrtester Freund, nichts gehet doch über die hohe
Weisheit der Mutter Natur, erschuf sie doch mancherlei Kräuter,
harte und weiche zugleich, doch letztere mehr zu Gemüse,
schuf auch die Arten der Tiere, erfreulich, harmlos und nutzbar,
hüllte sie außen in Häute, woraus man Stiefel verfertigt,
füllte sie innen mit Fleisch von sehr beträchtlichem Nährwert!
Hiervon wusste dann, vielleicht gar von Wilhelm Busch, auch der Justus Liebig im selben Jahrhundert. Und da man in Südamerika eher an den Häuten der Tiere, woraus man Stiefel verfertigt, interessiert war, entwickelte er eine Methode, mit der man vor Ort das restliche Fleisch mit seinem beträchtlichen Nährwert konservieren und verschiffen konnte. Nach Klassikern wie der Eisen-Nickellegierung oder dem Superphosphat trat er mit seiner Entwicklung des Fleischextrakts nun entschieden dem Durst der Welt nach Fleischbrühe entgegen. Und mindestens ebenso entschieden trat seine Firma dem Hunger der Gesellschaft nach Allgemeinbildung entgegen, indem sie jeder Dose Fleischextrakt ein werbewirksames Sammelbildchen aus verschiedensten Themenbereichen beilegte.

So muss es wohl auch einmal der Fall gewesen sein bei dem Bild, was mir kürzlich beim Durchkämmen eines alten italienischen Bildbandes entgegensegelte. Der Titel der Sammelreihe "L'enfance d' Italiens célebrès" klingt vielleicht ein wenig speziell für Allgemeinbildung, doch wollen wir uns davon nicht irritieren lassen, sondern es vielmehr auf seinen künstlerischen Nährwert hin untersuchen!
(klicken um Bild zu vergrößern)

Einige Details lassen vermuten, dass der anonyme Künstler recht gut recherchiert hat für sein Werk. Florenz als Ort des Geschehens finden wir geographisch korrekt eingebettet in einen Hintergrund aus sanften toskanischer Hügelchen, besetzt mit den typischen Zederchen.

(Such die Zeder!)

In diese Landschaft schmiegt sich eine Zeichnung des mittelalterlichen Florenz, chronologisch korrekt noch ohne Brunelleschis Kuppel und den Palazzo della Signoria.

Am oberen Rande der Karte prangt hierüber das Wappen der Stadt:
Dante selbst klärt über die Bedeutung der Lilie im 16. Gesang des Paradiso (vv. 151 - 154) auf. Cacciaguida berichtet an dieser Stelle von einem Florenz der Eintracht, das die Bürgerkriege noch nicht gesehen hat:
Con queste genti vid' io glorïoso
e giusto il popol suo, tanto che 'l giglio
non era ad asta mai posto a ritroso,
né per divisïon fatto vermiglio
Es ist die Rede von dem Florenz zu einer Zeit, als die Lilie nie am Speer umgekehrt wurde, noch diese durch Spaltung rot geworden war. Im Wappen kann also Anspielung an jenes Ereignis gelesen werden, als die Guelfen im 13. Jhdt. nach der Vertreibung der kaisertreuen Ghibellinen deren Wappen der weissen Lilie auf rotem Grund ersetzten durch ihr eigenes Wappen, d.h. durch die rote Lilie auf weissem Grund. Dante selbst gehörte eben dieser Partei der Guelfen an, was ihm später eine gewissen Zeit im Exil eintragen sollte.

Im paradiso, aus welchem die obige Stelle stammt, spielt eben jene Beatrice, von deren ersten Erblicken uns das Sammelbildchen berichtet, eine tragende Rolle. Sie wird zu Dantes Führerin durch diesen Abschnitt der Divina Commedia, nachdem er seinen bisherigen Führer und bewährten Begleiter Vergil an der Pforte abgeben musste - weil der gute Heide nicht getauft ist.

Dieses Ereignis, die Begegnung als Neunjähriger mit Beatrice, findet sich in unteren Beschreibung des Sammelbildchens:
(Dante Alighieri, âgé de 9 ans, voit pour la première fois la jeune Béatrice et s'éprend d'elle d'un amour idéal)

Geschildert wird diese Szene mit einer in Dantes Vita Nuova:
Nove fiate già appresso lo mio nascimento era tornato lo cielo de la luce quasi a uno medesimo punto, quanto a la sua propria girazione, quando a li miei occhi apparve prima la gloriosa donna de la mia mente, la quale fu chiamata da molti Beatrice [...]
Und auch die Wirkung der Begegnung mit Beatrice findet sich wenig später in der Beschreibung, wie Amor seit diesem Zeitpunkt seinen Geist beherrscht:
D'allora innanzi dico che Amore segnoreggiò la mia anima, la quale fu sì tosto a lui disponsata, e cominciò a prendere sopra me tanta sicurtade e tanta signoria per la vertù che li dava la mia imaginazione, che me convenia fare tutti li suoi piaceri compiutamente.
Bei all dieser Einbettung in die danteske Werk könnte vielleicht höchstens die Darstellung der Handhaltung Klein-Dantes auf den ersten Blick irritieren:

(finger-pyramid of evil contemplation?)

Doch scheint hier der Künstler auf diese Weise wohl die Ergriffenheit des Herzens des Dichters zum Ausdruck zu bringen. Der einzige Aspekt, hinsichtlich dessen Dantes Text dem anonymen Künstler ein lautes veto! entgegenschreit, ist die Beschreibung von Beatrices Dress:
Apparve vestita di nobilissimo colore, umile ed onesto, sanguigno, cinta e ornata a la guisa che a la sua giovanissima etade si convenia.
Sie erschien also in einem Gewand von edler Farbe, bescheiden und züchtig, von blutroter Farbe, und sie war gegürtet und geschmückt, wie es es ihrem zarten Alter entsprach. Sie erschien also nicht in einem blauen Matrosenanzug mit Schürze und Cape - vielmehr scheint es irritierenderweise der kurze Dante selbst zu sein, der hier in rotem Gewand und gegürtet einherschreitet...

Vielleicht machte ihn gar einer schludrige Übersetzung zum fashion victim? Aber lassen wir uns über diese Details hinweg nicht den Appetit verderben - denn welchem Akademiker wird nicht brühwarm ums Herz beim Gedanken an eine Zeit, in der man mit Dante die Zielgruppe der Entscheidungsträger beim Kauf von Rindsbouillon erreichen konnte...

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