Saint-Denis: Wiege der Gotik (Teil 2)
(Fortsetzung des Artikels zur Pariser Kirche Saint Denis)
Bevor der Kirchenbesucher eintrat, begrüßte ihn über dem Portal eine Darstellung von Jesus als Weltenrichter beim jüngsten Gericht. In der Bildzeile zu Jesu Füssen erinnern die aus den geöffneten Grabplatten kriechenden Leiber ihn an sein bevorstehendes Schicksal:
Allgemein spricht man in Bezug auf die Gotik oft von einer jenseitsbezogenen, "auferstehungslastigen", transzendierenden Architektur. Diese Interpretationsrichtung spiegelt sich auch in dem Streben in die Höhe und der Dematerialisierung des Gebäudes wieder: im filigranen Maßwerk, das gerade im Kontrast zu den massiven Mauern der Romanik in der Entwicklung der Gotik immer mehr einen schwebenden Charakter einnimmt.
Die "Einlieger" der Nekropole von Saint-Denis lesen sich wie ein "who-is-who" der französischen Herrschergeschlechter des Mittelalters. Einzelne Persönlichkeiten finden sich auch in den farbenreichen Fenstern der Kirche dargestellt:
Die französische Revolution verschonte Saint-Denis nicht. Die Fenster wie auch die Herrscherdarstellungen auf der Fassade wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Darüberhinaus leerte der Mob auch die Gräber und legte die sterblichen Überreste in einem Massengrab bei. Spätere, nicht in gleichem Maße monarchiefeindliche Generationen, kümmerten sich schon im 19. Jhdt. um die Restauration der Schäden. Erst seit 1993 kann die Nekropole jedoch wieder im vollständig wiederhergestelltem Zustand besichtigt werden.
Abt Suger war es im 12. Jahrhundert, welcher durch seine Entwürfen für den Chor für die Kirche von Saint-Denis (vor allem des Chors) das Zeitalter der Gotik einläutete.
(oben: Bild des Abtes mit einem der Kirchenfenster in Saint Denis, welches die Wurzel Jesse zeigt, d.h. den Stammbaum Jesu)
In seiner Schrift De administratione (Über die Amtsführung) informiert uns Abt Suger über die Verse, die er auf dem Mittelportal anbringen ließ (de adm. 174):Dort finden sie sich auch heute noch. Sie lassen sich lesen als eine Art Programmschrift der Gotik. Auf der linken Seite steht in gegossenen Lettern:
Portarum quisquis attollere quaeris honorem,
Aurum nec sumptus, operis mirare laborem.
Nobile claret opus, sed opus quod nobile claret
Clarificet mentes, ut eant per lumina vera
...und auf der rechten Seite:
Ad verum lumen, ubi Christus janua vera.Übersetzung beider Seiten:
Quale sit intus in his determinat aurea porta:
Mens hebes ad verum per materialia surgit,
Et demersa prius hac visa luce resurgit.
Wer Du auch immer bist, der du danach trachtest, den Ruhm der Türen zu erheben,
bewundere das Gold und nicht die Kosten, die Mühe des Werkes:
Herrlich strahlt das Werk; aber das Werk, was herrlich strahlt,
möge erhellen die Geister, so dass sie gehen durch die wahren Lichter
[Anfang rechte Seite] Zum wahren Licht, wo Christus die wahre Tür ist.
Wie beschaffen es sei in diesen, bestimmt die goldene Pforte:
Der schwache Geist erhebt sich zum Wahren durch die materiellen Dinge,
und der früher ins Verderben Gesunkene erhebt sich, nachdem das Licht gesehen ward, aufs neue.[Übersetzung frei nach Nicolai, 2007]
Diese Inschrift weist darauf hin, welche Funktion Suger dem Licht beimaß bei der Geisteserfahrung des Kirchenbesuchers. Dieser muß überwältigt gewesen sein beim Betreten des lichtdurchfluteten Kirchenraumes:
Bevor der Kirchenbesucher eintrat, begrüßte ihn über dem Portal eine Darstellung von Jesus als Weltenrichter beim jüngsten Gericht. In der Bildzeile zu Jesu Füssen erinnern die aus den geöffneten Grabplatten kriechenden Leiber ihn an sein bevorstehendes Schicksal:
Allgemein spricht man in Bezug auf die Gotik oft von einer jenseitsbezogenen, "auferstehungslastigen", transzendierenden Architektur. Diese Interpretationsrichtung spiegelt sich auch in dem Streben in die Höhe und der Dematerialisierung des Gebäudes wieder: im filigranen Maßwerk, das gerade im Kontrast zu den massiven Mauern der Romanik in der Entwicklung der Gotik immer mehr einen schwebenden Charakter einnimmt.
(oben: Der Helm des "schönsten Turms der Christenheit" in Freiburg als Beispiel für die Dematerialisierung der Gotik)
Es ist innerhalb der Forschung umstritten, in wie weit der Kirchenneubau von Saint-Denis auch der Umsetzung einer neuplatonisch beeinflussten Licht-/Geistesmetaphorik dienen sollte. Vielleicht war für die revolutionäre Architektur auch die anstehende representative Erneuerung des Ortes ausschlaggebend, an dem sich die meisten der französischen Herrscher begraben liessen. Fest steht, dass eine jenseitsbezogene Programmatik und die Lichtsprache die Kirche nicht als unpassenden Ort erscheinen lassen, um sich dort als Herrscher in Hoffnung auf Wiederauferstehung begraben zu lassen.
Die "Einlieger" der Nekropole von Saint-Denis lesen sich wie ein "who-is-who" der französischen Herrschergeschlechter des Mittelalters. Einzelne Persönlichkeiten finden sich auch in den farbenreichen Fenstern der Kirche dargestellt:
Die französische Revolution verschonte Saint-Denis nicht. Die Fenster wie auch die Herrscherdarstellungen auf der Fassade wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Darüberhinaus leerte der Mob auch die Gräber und legte die sterblichen Überreste in einem Massengrab bei. Spätere, nicht in gleichem Maße monarchiefeindliche Generationen, kümmerten sich schon im 19. Jhdt. um die Restauration der Schäden. Erst seit 1993 kann die Nekropole jedoch wieder im vollständig wiederhergestelltem Zustand besichtigt werden.
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